Ernst Jürgen Kratz, am 12. Oktober 1935 in Düsseldorf geboren, war ein Kriegskind. Nach schweren Bombennächten in Düsseldorf wurde seine Familie nach Niederbayern, später nach Erfurt evakuiert. Schwer erkrankt wurde er von dort aus im Frühjahr 1944 nach Davos in ein Lungensanatorium gebracht, aus dem er erst im Herbst 1948 zu seiner Familie nach Düsseldorf zurückkehren konnte. Dort bestand er 1954 das Abitur. Zuvor war er 1952/53 ein Jahr lang als Gastschüler in den USA, wo er 1953 das High-School-Diplom erwerben konnte.
Kratz absolvierte ab 1955 ein vierjähriges Jurastudium in Heidelberg und Bonn bei Stipendienzeiten in Kopenhagen und Genf. Die Referendarzeit verbrachte Kratz im Umfeld von Düsseldorf mit einer Zwischenzeit in Berlin. Im Dezember 1963 bestand er das zweite juristische Staatsexamen.
Ab Januar 1964 war Kratz im richterlichen Dienst, den er nach sehr vielen unterschiedlichen Aufgaben, zuletzt als Vizepräsident des Oberlandesgerichts Düsseldorf, Ende Oktober 2000 abschloss. Nun konnte er seiner Neigung für die Kunst einen größeren Raum geben. Der
Hintergrund der künstlerischen Arbeiten fällt in die Zeit des lungenkranken Achtjährigen im Frühjahr 1944 in Davos, als weder Papier noch Bleistift zur Verfügung standen und selbst die Hände im Liegekursack auf der Freiluftkurterrasse eingebettet waren, Tag für Tag unter einem strengen Gebot der Ruhe. Aber es blieb der Blick über das langestreckte Davoser Tal mit den im Vordergrund stehenden, sich im Wind bewegenden Bäumen und es gab vor allem die dahinziehenden Wolken mit immer wieder neuen Bildern, mit Figuren, die mit stets sich verändernden Gesten ihre merkwürdigen Geschichten erzählten. Sie ersetzten die Einsamkeit und wenn einmal ein Stück Papier zu erlangen war, und sei es auch nur eine braune Tüte, und wenn es dann auch gelang, einen Bleistift zur Hand zu haben und diesen an einem Stein anzuspitzen, dann wurden die Erlebnisse gezeichnet, im Bett unter der Matratze versteckt, gefunden und weggeworfen, aber immer wieder neu gezeichnet, so wie die Bäume immer wieder winkten und die Wolken nicht aufhörten, ihre Geschichten zu erzählen, Monat für Monat, Jahr für Jahr.
Der Weg führte über die gegenständliche Malerei nur zögernd zum Abstrakten. Die Zurückhaltung hat ihren Grund in der Zeit in Davos und dort im Gesang in der Kirche St. Johann. Der Junge sang von der Empore und eines Tages beim Verlassen der Kirche war er im Gedränge der Besucher und hörte eine Dame zur anderen sagen: „Der Junge versteht die Musik!“ So sehr es wohl um ein Lob ging, so sehr hat es den stillen Zuhörer des Gesprächs verstört; denn er verstand nichts von Musik als nur gerade sein Singen, und die Sorge prägte sich ein, unehrlich und ein Betrüger zu sein, der vortäuschte, Musik zu verstehen, obgleich er nichts davon verstand. Natürlich hat er sein Trauma überwunden, wenn auch sehr viel später, als der Weg in die Normalität der Gesellschaft abgeschlossen war. Dennoch waren die Erfahrungen aus der Kindheit eine Warnung, sich auch auf dem Gebiet der Malerei bei aller damit verbundenen Leidenschaft nicht in etwas hineinzubegeben, was nicht zumindest auch vom Verstand her begründet werden kann.
Das wurde die Grundlage zu einem internen Studium zur Sinngebung der modernen Malerei. Sehr viele Quellen waren hilfreich für ein immer weiter gefestigtes Selbstverständnis. Sehr vorne an steht die Betrachtung der kindlichen Ausdrucksformen in der Malerei, das Erstaunen über das Bedürfnis der Kinder, sich malend auszudrücken, die geringe Scheu, keine Abbilder zu schaffen, sondern Symbole ihrer Vorstellungswelt. Aufschlussreich wurde die Betrachtung anderer Kulturen, die sich kraft ihres eigenen Hintergrundes oder auch aus religiösen Zwängen nicht mit darstellender Kunst befassen oder befassen dürfen aber dennoch bildnerische Ausdrucksformen suchen, so z.B. in der afrikanischen Kunst, in der Kunst der Ornamentik oder in der Kunst der Kalligrafie, letztlich auch in der Architektur. Sehr hilfreich war die Denkwelt des russischen Künstlers Malewitsch, der das schwarze Viereck auf weißem Grund zum Ausgangspunkt aller weiteren Betrachtungen einer ästhetischen abstrakten Kunst gemacht hat. Noch in der Berufszeit verging kaum ein Tag ohne suprematistische Übungen in Farbe oder auch nur mit dem Zeichenstift.
Die Arbeiten mit sehr unterschiedlichen Werkstoffen entsprechen dem Bedürfnis, immer wieder neue Wege zu gehen, auch Wege, die von anderen noch nicht beschritten worden sind. Bildausschnitte aus dem alltäglichen Leben gaben Veranlassung zu in Rahmen gefassten Keramikplastiken, die so sorgfältig – weitgehend im Wege von Abdrucken – geformt und bemalt werden, dass der Betrachter sie von der Wirklichkeit kaum zu unterscheiden vermag. Arbeiten auf schwerem Papier oder auch großflächig auf Leinwand zeigen rostende Objekte in ausgeprägt dreidimensionaler Erscheinungsform, die dadurch erreicht wird, dass ein Spachtelrelief zugrunde gelegt wird. Viele dieser Arbeiten lassen den Betrachter im Zweifel über die dargestellten Gegebenheiten, etwa wenn Steinstrukturen in metallischem Äußeren erscheinen oder wenn es um Objekte geht, die bei näherer Analyse in der Wirklichkeit nicht bestehen können. Gegenständliche und abstrakte Malerei gehen in einigen dieser Bilder so sehr Arm in Arm, dass eine Zuordnung kaum noch möglich ist. Sie lassen erkennen, dass die ursprüngliche Angst vor der Abstraktheit überwunden ist und sie nahezu spielerisch und in ungezwungener Auslotung der Möglichkeiten eingesetzt werden kann.
Auch in seiner farbigen Welt geht Kratz gerne seine eigenen Wege, etwa wenn er die Aquarellfarben unmittelbar aus der Tube auf das Papier bringt oder wenn Aquarell- und Wachsfarben auf einer Fläche erscheinen. Auch bei den Aquarellen werden relativ große Flächen bevorzugt. Neuerdings wird das charakteristische Erscheinungsbild von Aquarellen auf Aluminiumflächen erzeugt, womit wiederum sehr eigene Wege beschritten werden.
Die Landschaftsmalerei, ist nicht vergessen, sie ist aber seltener geworden. In dem gerne aufgegriffenen Motiv der Heuballen auf den Feldern erkennt man den Übergang vom Gegenständlichen zum Abstrakten und letztlich über nahezu alle Werke hinweggehend, die Liebe zu einer ästhetischen Formensprache.
©2025 Ernst Jürgen Kratz